19. Oktober 2018 — Jedesmal eine Enttäuschung


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Vor vielen Jahren habe ich eine Freundin unabsichtlich ziemlich verletzt. Sie war derart überrumpelt, dass sie mir erst einige Tage später sagen konnte, was meine Worte bei ihr bewirkt hatten. Und mir wurde erst Jahre später bewusst, welche Beweggründe ich für meine Bemerkung gehabt hatte. Obwohl sie fast ein Jahrzehnt jünger ist als ich, verstanden wir uns wunderbar und Parallelen in unserer beiden zuweilen komplizierten Liebesleben machten das gegenseitige Verständnis leicht. Doch nun war sie schon eine Weile in mit einem liebenswürdigen, verlässlichen Mann zusammen und erwähnte ganz nebenbei, dass sie mit Verhüten aufgehört hatte.
Ich war wie vor den Kopf gestossen und fragte sie, ob sie denn tatsächlich schon eine Familie gründen wolle. Irgendwie hatte ich mir nämlich vorgestellt, dass das nichts für sie war. Auf jeden Fall nicht jetzt schon, wo ich gerade unfreiwillig Single war.
Wie genau ich reagiert hatte, weiss ich nicht mehr. Vom Sinn her teilte ich ihr mit, dass ich sie mir nicht als Mutter vorstellen könne.
Aus heutiger Sicht ist sonnenklar, dass ich sie mir lieber als eine vorstellte, die – wie ich – zumindest vorerst noch nicht zu den Müttern gehörte. Und ihr bis anhin unstetes Liebesleben und ihre Freiheitsliebe waren Wasser auf die Mühle meines Wunschdenkens.

Sie jedoch hörte in meinen Worten, dass ich ihr nicht zutraute, eine gute Mutter abzugeben und fand ihrerseits keine Worte mehr, verletzt wie sie war.
Zum Glück konnte sie das später ansprechen und ich ihr daraufhin erklären, dass ich nicht ihre Fähigkeit als zukünftige Mutter in Frage stellte, sondern erstaunt darüber war, dass sie überhaupt eine werden wollte. Ich hatte ihre Freiheitsliebe und ihren Unabhängigkeitsdrang als stärker eingeschätzt.

Aus heutiger Sicht ist mir zudem klar, dass ich sie nicht als kinderlose Freundin hatte verlieren wollen. Heute noch ertappe ich mich nämlich dabei, dass mein Interesse einer Enttäuschung weicht, wenn ich erfahre, dass eine bestimmte Frau entgegen meiner Vermutung Mutter ist. Meist handelt es sich dabei um Frauen, von denen ich spannendes gehört oder gelesen habe. In meiner Fantasie stelle ich sie mir dann als eine von uns, eine OK-Frau vor. Sobald ich vernehme, dass sie Kinder hat, macht sich eine gewisse Enttäuschung breit.
Dass ich so reagiere, ist mir peinlich. Als ob ich OK-Frauen für bessere Frauen halten würde. Tu ich das? Nein, es geht immer noch ums Finden von Gleichgesinnten. Wir sind insgesamt sosehr in der Minderzahl, dass ich einfach bei jeder beeindruckenden Frau von Neuem hoffe, sie sei eine von uns.


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